In der Sendung "Kunst Heute" vom 8.1.1978 spricht Ernst Caramelle über
das Audiokassetten-Multiple "SOUND.Multiple
Nr.6", eine Edition mit
Beiträgen von ihm selbst und von Freunden. Er verwendet das Medium
Tonbandkassette als Mittel zur "Verweigerung der Vermarktbarkeit" - die
Arbeiten werden abseits von kommerziellen Institutionen verbreitet und
publiziert.
Die Verweigerung der Vermarktbarkeit, die Verweigerung eines verkaufbaren Endproduktes und somit die Entmaterialisierung sei eine Taktik zur Erhaltung der künstlerischen Autonomie - einer der vielen Wege, wie sie im Dada, im Fluxus etc. gegangen wurden. Der Weg in die Entmaterialisierung führt immer wieder durch verschiedene Metamorphosen (vom Objekt zum Klang, in den radiophonen Raum, zur Aktion, in den elektronischen Raum, in den Cyberspace), als wäre er ein Fluchtweg. TEMPEST ist ein neuerlicher Versuch der Entmaterialisierung. Das Mittel dazu ist die Übersetzung von Bild in Klang. Alle hörbaren Ereignisse sind aus visuellen Objekten - in diesem Fall Computergraphiken - entstanden. Zur Übersetzung wendeten wir verschiedene Techniken an: Einerseits eine direkte Ausgabe der Bitmuster über die Soundkarte (dem Computer ist es egal, ob er es mit Bildern oder Klängen zu tun hat, es ist nur eine Frage der Ein- und Ausgabe, somit der Interpretation), andererseits durch das "Abhören" der Datenströme und der durch diese produzierten elektromagnetischen Felder um Computer und Monitor durch ein Mittelwellen-Radio. das webinterface display2radio beinhaltet eine computergenerierte Partitur, wie wir sie für TEMPEST verwendet haben: Sie können ihre akustische Interpretation über ein Radio hören, das Sie in der Nähe des Monitores aufstellen und auf ca. 10000 KHz (Mittelwelle) einstimmen. Durch Klicken auf einen der vier roten Buttons am rechten Rand der Webseite starten Sie Animationen, die im Radio als rhythmische Strukturen hörbar werden. Jeder elektronische Datenstrom produziert ein elektromagnetisches Feld, das mit geeigneten Mitteln auch für Dritte abhörbar ist. Dieses Phänomen wird auch als Abhörtechnik ("TEMPEST") in der Spionage genutzt. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich nicht darauf, Codes zu entziffern, d.h. eine eindeutige Bedeutung dieser Codes festzulegen, sondern sie in ihrer Vieldeutigkeit bzw. Undeutbarkeit zu belassen - die Hörerin bekommt keine Bilder bzw. Lösungen, sondern erzeugt sich diese Bilder selbst. Das Produkt ist nicht das Klangereignis an sich, sondern die Ereignisse, die beim Hören als synästhetische Artefakte im Bewusstsein entstehen: Multimedia ist hier nicht die einmalige, bzw. eindeutige Koppelung von Bild- und Klangereignissen (wie im Film, Musikvideo oder auf CD-ROM). Der Klang wird vielmehr zum Träger von optischen Ereignissen. Das Radio wird zum Bilderzeuger, definiert sich also neu als visuell/akustisches Medium. |